© Florian Spring

Offenheit, Neugier und voneinander Lernen

Als Schüler der Europäischen Schule Brüssel in den 1960er und 1970er Jahren wurde mir in der Oberstufe bewusst, dass fast alle Lehrer der Kriegsgeneration angehörten und sich besonders deswegen von viel Idealismus und großer Toleranz geleitet, in dieser neu gegründeten ersten Europäischen Schule gemeinsam der Idee eines vereinten Europas verschrieben und sich dafür mit ganzer Kraft einsetzten: Öffnung, Neugier, Voreinander lernen in einem bescheidenen Rahmen trotz aller zu der Zeit noch vorhandenen Ressentiments.

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Diese Erinnerungen wurden wieder wach, als mir durch das lange Gespräch unter Mitarbeiter:innen ein Einblick in das Büro Dietrich Untertrifaller gewährt wurde. Denn ich war beeindruckt mit welcher Selbstverständlichkeit an den verschiedenen Standorten in Europa auf Unterschiede eingegangen und mit allen Partnern nach Lösungen gesucht wird - und natürlich auch von der Arbeit im Team der Mitarbeiter:innen aus aller Welt. Die so wichtige Verständigung ist das Thema, denn trotz mancher Kritik und manchem Unverständnis an den jeweiligen Umständen steht das Vorankommen mit allen Beteiligten am Projekt ganz oben. Sicherlich, alle großen Architekturbüros und natürlich nicht nur diese Büros, sind heute international aufgestellt.

Hier im Büro Dietrich Untertrifaller habe ich aber den Eindruck, geht man hinsichtlich der Analyse der spezifischen Gegebenheiten an den Standorten mit großer Überzeugungsarbeit in die Tiefe und es gelingt, die Dinge geschickt zu lenken. Der Erfolg zeigt sich in der Fülle an Wettbewerbseinladungen. Much Untertrifaller spricht vom Herauskitzeln der Möglichkeiten trotz strenger Programmvorgaben. Da geht es viel um Räume, die keinen Namen haben, das möglichst große Dazwischen für die Kommunikation, und die besondere Beachtung und Lenkung des natürlichen Lichts.

Das Gespräch zeigt aber auch andere Seiten auf. Man steigt ein in die Arbeitsweise eines Teams, das für eine intelligente Lösung auch intern den Dialog sucht. Jeder im Büro kann sich während der Entwurfsphase einbringen. Keine gezwungene Handschrift, kein Lehrsatz oder Denkmuster steht über den gestellten Aufgaben. Mit dieser Freiheit folgt man immer wieder neu den Gegebenheiten und den Bedürfnissen vor Ort und entwickelt daraus nicht nur das Konzept, sondern auch die Architektur.

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Diskutiert werden zudem die schnellen Möglichkeiten der Projektdarstellung, die Perfektion mit 3D oder BIM zu modellieren und damit auch der Gefahr einer Ungenauigkeit oder sogar Täuschung ausgesetzt zu sein, da keine tiefer gehende Entwurfsleistung vorangegangen war. Much Untertrifaller bezieht sich dabei auf seine Studierenden in Konstanz. Er vermisst während der Korrekturen die schnelle Handskizze oder das Arbeitsmodell zur Verdeutlichung einer Entwurfsidee. Auch für die Wettbewerbsentwürfe im Büro bezweifelt er den Nutzen von BIM und wünscht sich wieder mehr physische Modelle.

Im Mittelpunkt des Gesprächs steht aber die gemeinsame Arbeit und die Optimierung ihrer Strukturen, ein an allen Standorten auf gegenseitigen Respekt basierende und für neue Herausforderungen offenes Entwerfen, um das Wesentliche herauszuheben, statt mit Bildern zu blenden. Europa steht für das Büro Dietrich Untertrifaller heute offen, aber das Besinnen auf die Anfänge bleibt wichtig, auf den Wurzeln im Holzbau des Vorarlbergs und auf das feste Fundament des großen Erfolgs Festspielhaus Bregenz. So betont Much Untertrifaller am Ende des Gesprächs, dass dieses Festspielhaus ihn seit 1991 begleitet und er als Architekt alles von diesem Projekt weiß.

In Brüssel, heute leider geprägt von unpersönlicher, überbordender und komplizierter Europa-Bürokratie, sollte man sich auch immer wieder auf die kostbare Basis, die überschaubaren Anfänge voller Energie und Innovation zurückbesinnen. Ohne sie wäre das freie Miteinander in der Europäischen Union nicht möglich geworden, der offene Austausch, auch um zusammen an einer besten Entwurfsidee und ihrer Ausführung zu arbeiten.

Text: Sebastian Redecke, Juni 2024