Haus S in Weiler – Behutsame Transformation eines traditionsreichen Einhofs in einen zeitgemäßen, ökologischen Wohnraum. Foto: Albrecht I. Schnabel

Wohnen im Umbruch – Das Erbe des Einfamilienhauses

Kaum eine Wohnform ist in unseren kollektiven Vorstellungen so fest verwurzelt wie das Einfamilienhaus. Es steht für Freiheit, Geborgenheit und Selbstverwirklichung – vor allem im Westen Österreichs, etwa in Vorarlberg, wo das sprichwörtliche "Schaffa, schaffa, Hüsle baua" nicht etwa verklungen ist, sondern vielerorts noch immer als Lebensentwurf gilt und als Erfolgsmodell beworben wird.

Doch genau hier setzt die Kritik an: Während Fachkreise zunehmend ein Umdenken einfordern, bleibt das Einfamilienhaus gesellschaftlich wie ökonomisch stark verankert – mit teils problematischen Folgen. Im Rahmen unserer Forschungslabore "F-Lab" haben Mitarbeiter:innen unseres Bregenzer Büros die Studie "Das Erbe des Einfamilienhauses" erarbeitet. Der Beitrag schafft Raum für Reflexion, Kritik und neue Perspektiven auf eine Wohnform im Spannungsfeld zwischen Ideal und Realität.

Unterschiedliche Wohnbedürfnisse in den dynamischen Lebensphasen

Eine Frage der Perspektive

Die Studie beleuchtet das Einfamilienhaus nicht nur aus architektonischer, sondern auch aus kultureller, sozialer, ökologischer und ökonomischer Sicht – mit Fokus auf die Region Vorarlberg. Anhand von Literaturrecherchen, Interviews, Umfragen und Personas wird deutlich, dass der Wunsch nach einem eigenen Haus nach wie vor vorhanden ist. Doch bei näherer Betrachtung stellt er sich oft als Ergebnis gesellschaftlicher Prägung und mangelnder Alternativen heraus – und nicht als echte Bedürfnisorientierung.

In welcher Wohnform würden Sie langfristig am liebsten wohnen?

Kognitive Dissonanz und das Ideal des Eigenheims

Ein zentrales Ergebnis: Es gibt eine weit verbreitete kognitive Dissonanz zwischen Wohnwunsch und Realität. Viele träumen vom Einfamilienhaus im Grünen, sehnen sich aber gleichzeitig nach Urbanität, Gemeinschaft, kurzen Wegen und weniger Verantwortung. Diese Widersprüche spiegeln sich auch in der gebauten Realität wider – in Form von Leerständen, überdimensionierten Wohnflächen für Ein- und Zweipersonenhaushalte und hoher Verschuldung.

Der Preis des Traums

Die ökologischen und ökonomischen Folgen sind erheblich: Flächenfraß, Bodenversiegelung, hohe Energiekosten und ein wachsender Anteil ungenutzter Wohnflächen. Auch Leerstand und problematische Erbfolgen – etwa, wenn Immobilien über Generationen hinweg nicht sinnvoll genutzt oder veräußert werden können – verschärfen die Situation. Die sozialen Folgen reichen von Vereinsamung über den Verlust familiärer Netzwerke bis hin zu Altersarmut, vor allem bei Frauen, die häufig die Sorgearbeit übernehmen und später allein im ehemals „familiengerechten“ Haus zurückbleiben.

Vor- und Nachteile des Einfamilienhauses

Zwischenbilanz: Ein Umdenken ist nötig

Die Arbeit fordert keine generelle Abkehr vom Einfamilienhaus, sondern ein tiefgreifendes Umdenken – nicht nur in der Planung, sondern auch auf Seiten der Nutzer:innen. Ein zentrales Ergebnis der Interviews war die Erkenntnis, dass vielen Menschen ein grundlegendes Verständnis für das Zusammenspiel von Wohnform, Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten fehlt. Das Einfamilienhaus wird oft als alternativlos wahrgenommen – nicht aus Überzeugung, sondern mangels greifbarer, vermittelter Alternativen. Genau hier setzt das F-Lab an: Es versteht das Erbe des Einfamilienhauses als Ausgangspunkt für Transformation – durch Umnutzung, Teilung, Sanierung oder Rückbau. Statt standardisierter Lösungen plädiert es für vielfältige, kontextuelle Wohnmodelle, die realen Lebensrealitäten näherkommen – und dabei das Wissen über Wohnen selbst mitdenken.

Haltung zeigen

Als Büro mit starkem Bezug zur Region und einer langen Tradition nachhaltigen Bauens verstehen wir Architektur als Vermittlerin zwischen Raum, Nutzer:innen und Zukunft. Bauen ist immer auch kulturelle Praxis. Deshalb gestalten wir idealerweise Räume und vor allem Lebensräume, die auf reale Bedürfnisse reagieren, statt normierte Ideale zu reproduzieren. Wir setzen uns dafür ein, das Einfamilienhaus nicht zu verteufeln, sondern es von seiner Simplifizierung zu befreien und als das zu begreifen, was es ist: Ausdruck vergangener, aber wandelbarer Lebensmodelle.

Einordnung

Das Thema "Das Erbe des Einfamilienhauses" ist längst kein regionales Phänomen – es berührt grundlegende Fragen unserer Zeit: Wie wollen wir wohnen? Wie gehen wir mit Raum, Ressourcen und sozialen Strukturen um?

Aktuelle Ausstellungen wie "SUBURBIA. Die unaufhaltsame Stadt" im Architekturzentrum Wien (noch bis 4. August 2025) oder Initiativen wie „Boden für Alle“ zeigen, wie kritisch das Ideal des Einfamilienhauses inzwischen betrachtet wird – ökologisch, ökonomisch und sozial. Auch auf europäischer Ebene wird dieses Narrativ neu bewertet, etwa durch das New European Bauhaus, das für ein nachhaltiges, inklusives und ästhetisch hochwertiges Lebensumfeld steht.

Der Beitrag des F-Lab reiht sich in diese Dynamik ein, verankert sie jedoch bewusst im regionalen Kontext Vorarlbergs – einer Region mit starker Baukultur und gleichzeitig tief verankerten Einfamilienhaus-Idealen. Er spiegelt die Haltung von Dietrich Untertrifaller: Architektur als Vermittlerin zwischen Ort, Mensch und Zukunft – und als aktiver Impulsgeber für eine zukunftsfähige Wohnkultur.

Fazit: Wohnkultur weiterdenken

Das Einfamilienhaus war lange Symbol eines gelungenen Lebens – heute steht es zunehmend für veraltete Konzepte und versäumte Chancen. Die Herausforderungen von heute verlangen mehr als nostalgische Wohnideale. Sie brauchen konkrete, vermittelbare Alternativen – und eine Architektur, die den Wandel aktiv mitgestaltet.

Das F-Lab versteht sich als Impulsgeber in diesem Prozess: Es hinterfragt bestehende Narrative, macht Komplexität greifbar und zeigt auf, dass Wohnkultur kein statisches Erbe, sondern ein gestaltbarer Zukunftsraum ist. Jetzt ist die Zeit, diesen Raum neu zu denken – gemeinsam, kontextbezogen und mit Mut zur Veränderung.

Autor:innen: Eva Kukurīte, Danijela Müller-Stojanovic, Josef Piroddi, Cemile Stadelmann
Projektbegleitung: Ulrike Bale-Gabriel, Dominik Philipp, Patrick Stremler
Zusammenfassung: Linda Pezzei, April 2025